Sigrun Saunderson | BusinessART 04/2014
Transparenz, soziale Verantwortung, Ehrlichkeit und Fairness schreiben sich Unternehmen gerne auf die Fahnen. Diese Ideale dann auch wirklich bis ins Detail umzusetzen braucht Durchhaltevermögen und manchmal die Fähigkeit nein zu sagen. – Szenen aus dem Alltag der Wirtschaftsethik.
Schauplatz Textilindustrie: Die meisten westlichen Markenhersteller lassen ihre T-Shirts, Hosen, Schuhe und Jacken in China, Indien, Bangladesch oder Kambodscha produzieren. Hier ist die Arbeit
billig. Und hier sind die ArbeiterInnen-Rechte mickrig. Wer sich gewerkschaftlich organisiert, fliegt. Und damit Namen wie Adidas, H&M und Gap nicht in den Geruch der Ausbeutung kommen, ist
ein schwer durchschaubares weltumspannendes Netz an Zulieferfirmen dazwischengeschaltet, an denen man sich im Zweifelsfall abputzen kann. Wen soll man da zur Verantwortung ziehen für die
Massenohnmachtsanfälle in Kambodschas Textilbetrieben? Für schlecht belüftete Produktionsräume, in denen chemische Dämpfe austreten? Für mangelernährte Arbeiterinnen, die dort 70 oder mehr
Stunden in der Woche hart arbeiten und ihre Familien dennoch nicht ernähren können?
Dass eine solche Unterbezahlung überhaupt möglich ist, liegt nicht nur an den Zulieferfirmen, sondern auch an den Regierungen der einzelnen Länder. Sie legen oft einen extrem niedrigen
gesetzlichen Mindestlohn fest, um ausländische Investoren anzuziehen.
Geteilte Verantwortung
Aber die Schuld nur auf „die im Süden“ zu schieben ist Andrea Reitinger von EZA-Fairer Handel zu einfach: „Für uns ist es wichtig, die Verantwortung zu verteilen. Es genügt nicht, dass westliche
Auftraggeber von ihren Lieferanten verlangen, bestimmte Kriterien zu erfüllen. Es müssen auch bei den Auftraggebern die Weichen entsprechend gestellt werden. Davon spricht selten jemand.
Das heißt, dass die Besteller zum Beispiel keinen Preis- oder Lieferdruck ausüben.“ Der in der Modebranche übliche Zeitdruck ist nämlich unter anderem dafür verantwortlich, dass die NäherInnen
enorme Überstunden machen müssen. Und wenn der europäische oder amerikanische Modehändler bei seinen Lieferanten den Preis drückt, wirkt sich das vor allem auf die Schwächsten in der Kette aus:
die ArbeiterInnen.
Dass es auch anders geht, beweist EZA Fairer Handel bereits seit beinahe vier Jahrzehnten. In den letzten Jahren verstärkt auch mit einem Angebot an Bekleidung unter der Marke Anukoo. Die
Fair-Trade-Importorganisation unterhält Handelsbeziehungen zu rund 160 Organisationen in Lateinamerika, Afrika, Asien und dem Nahen Osten gemäß den von der internationalen World Fair Trade
Organisation festgelegten Prinzipien. Statt Profitmaximierung auf Kosten der PrduzentInnen zählen faire Preisgestaltung und Handelspraktiken sowie Transparenz in Produktion und Handel. Das
motivierte auch das Modelabel „Göttin des Glücks“ zur Kooperation mit EZA. Das Label bringt anstatt der branchenüblichen sechs neuen Kollektionen pro Jahr nur zwei heraus und gibt sich zugunsten
der ArbeiterInnen mit einer niedrigeren Handelsspanne zufrieden.
Diese Verantwortung auch zu den großen westlichen Modehändlern zu tragen, das hat sich die weltweite Clean Clothes Kampagne zur Aufgabe gemacht. Die Organisation fordert Europas große Modemarken
zum Beispiel dazu auf, sich für existenzsichernde Löhne bei ihren Zulieferern einzusetzen. Wer das tut und in welchem Maß, das können Konsumenten auf der Kampagnen-Website nachlesen. Zumindest
ein Signal an die Modehändler, dass ihre Praktiken nicht mehr im Dunkel bleiben. Und für KonsumentInnen eine Entscheidungshilfe beim nächsten Shopping-Exzess ...
Saubere Elektronik ... schwierig
In der Elektronik-Industrie scheint es vergleichsweise beinahe unmöglich zu sein, Produkte nach ethischen Grundsätzen herzustellen. Die Schweizer Organisation „Brot für alle“ veröffentlichte
dieses Jahr einen detaillierten Einblick in die Umstände, unter denen Smartphones produziert werden. Auch hier stehen die – hauptsächlich chinesischen – FarbriksarbeiterInnen unter unmenschlichem
Druck und erhalten für bis zu 15 Stunden harter Arbeit täglich einen Lohn, von dem sie meist nicht leben können. Auch „Brot für alle“ trägt die Verantwortung zurück zu den Herstellern: Sie sollen
sich für die Bildung von Gewerkschaften einsetzen und von ihren Zulieferern die Bezahlung von Existenzlöhnen verlangen. Im „Ethik-Ranking“ können KonsumentInnen nachlesen, wie die einzelnen
Hersteller bei den Kriterien Arbeiterrechte, Umweltschutz und Krisenrohstoffe abschneiden, egal was ihre PR-Broschüren sagen.
Dass es auch in dieser Branche etwas Bewegung in Richtung Wirtschaftsethik gibt, beweist das Fairphone, das ein kleines niederländisches Unternehmen heuer auf den Markt gebracht hat. Doch zu
wirklich fairen Bedingungen produzieren kann der Hersteller noch nicht. Als kleines Unternehmen muss er sich zunächst in die bestehenden Lieferketten – mit ihren bestehenden
Arbeitsbedingungen – eingliedern. Daher verspricht der Hersteller auf seiner Website auch nur, sich für bessere Arbeitsbedingungen vor Ort einzusetzen: „Wir werden mit unseren Produktionspartnern
die Bedingungen in den Fabriken bewerten und dann Schritt für Schritt gemeinsam an Verbesserungen arbeiten.“ – Immerhin eine ehrliche Ansage anstatt schönfärberischer PR.
Keine Lügen, sondern ausgewählte Wahrheiten
Schönfärberei gibt es nämlich genug, wenn es darum geht, das eigene Unternehmen als ethisch einwandfrei darzustellen. Lässt sich das aber auch ethisch vertreten? Und wie geht eine
Kommunikationsagentur mit dem Thema Ehrlichkeit um? „PR hat in meinen Augen viel Ähnlichkeit mit der Arbeit eines Rechtsanwalts. Beide vertreten die Interessen ihrer Klienten“, meint Hannes
Martschin, Geschäftsführer der Wiener PR-Agentur Martschin & Partner. „In der Kommunikationsbranche kann nie alles gesagt werden. Welche Informationen man weitergibt und welche nicht, ist
bereits eine strategische Frage.“
Die PR-Branche hat dabei einen strengen ethischen Kodex (Athener Kodex), zu dem sich praktisch alle Agenturen bekennen. Dieser verbietet unter anderem, „die Wahrheit anderen Ansprüchen
unterzuordnen“ und sich für Vorhaben einzusetzen, „die gegen die Moral verstoßen“. Was genau moralisch ist und was nicht, ist jedoch auch eine Frage der persönlichen Auslegung. „Rein moralisch
zählt für mich die Redlichkeit in der Kommunikation, der man sich selbst verpflichtet“, meint Hannes Martschin. „Das wird in keinen Kodex zu gießen sein.“ Er selbst hat schon Aufträge abgelehnt,
die mit seinem persönlichen Ethikverständnis unvereinbar waren. Und für gewisse Bereiche, wie zum Beispiel die Rüstungsindustrie, würde er sich generell nicht einsetzen lassen.
Pfusch am Bau
Einen Auftrag aus ethischen Gründen abzulehnen ist schwierig, wenn unethische Praktiken einfach zur Branche gehören: Vom Privatpfusch für kleine Häuselbauer über den organisierten Pfusch
inklusive Finanz- und Sozialversicherungsbetrug bis hin zum Geldkoffer, der unauffällig im Kofferraum des Bürgermeisters landet, um einen Bauauftrag an Land zu ziehen, ist am Bau alles üblich. –
Oder üblich gewesen?
„Korruption ist bei uns kein großes Thema, ganz im Gegenteil,“ meint Manfred Katzenschlager, Geschäftsführer der Bundesinnung Bau an der Österreichischen Wirtschaftskammer. „Durch die
Compliance-Vorschriften sind alle sehr vorsichtig geworden, das ist fast schon übertrieben.“ Auch andere betrügerische Praktiken konnten in den letzten Jahren durch verschiedene Maßnahmen
eingeschränkt werden. Im Kampf gegen den „Pfusch am Bau“ ist die Kommunikation zwischen den Behörden – wie Sozialversicherungen und Finanzpolizei – um einiges besser geworden. Besonders
effektiv ist die 2009 eingeführte Auftraggeberhaftung: Der Auftraggeber wird zur Verantwortung gezogen, wenn seine Subunternehmer keine Sozialversicherungsbeiträge abliefern. Bis dahin war es
nämlich häufige Praxis, dass Subunternehmer ihre ArbeitnehmerInnen illegal beschäftigten, um Leistungen möglichst billig anbieten zu können. Bevor sie von den Krankenkassen zur Zahlung
aufgefordert werden konnten, gingen solche Unternehmen einfach in die Insolvenz.
Zeigen die Maßnahmen Wirkung? „Es gibt heute eklatant weniger Einbußen aufgrund betrügerischer Insolvenzen“, so Katzenschlager. „Und seriöse Firmen haben kein Problem mit diesen Regelungen, weil
dadurch Wettbewerbsverzerrungen vermieden werden. Denn wenn problemhaftes Verhalten Schule macht, müssen letztlich alle mitmachen, oder sie müssen zusperren.“
Mitmachen oder zurückziehen?
Einer, der schon zweimal nicht mitgemacht hat, ist KR Viktor Wagner, Geschäftsführer der REIWAG Facility Services GmbH. Kurz nachdem sein Unternehmen in der Ukraine einen Auftrag zur
Gebäuderenovierung erhalten hatte, wurde der dort verantwortliche Manager mit Schmiergeldforderungen konfrontiert. Als er sich weigerte, zu zahlen, wurde ihm nahegelegt, das Land zu verlassen, da
sonst er oder seine Kinder einen Unfall haben würden. „Ich bin dann mit einem Rechtsanwalt zu den Verantwortlichen gegangen“, erzählt Wagner. „Aber auch das hat nichts genützt. Daher haben wir
uns aus der Ukraine zurückgezogen.“
Und auch in Ungarn greift die REIWAG inzwischen keine Aufträge mehr an, seit die Schwarzarbeit dort so zugenommen hat. „Wir wollen legal arbeiten und haben 2014 keine Chance mehr gesehen, Geld zu
verdienen. Daher haben wir Ungarn verlassen. Für uns war das kein großes Problem. Viel schwieriger ist die Situation für ungarische Kollegen, die korrekt arbeiten wollen. Das ist praktisch
unmöglich.“
Transparenz fördert Integrität
Wenn sich eine ganze Branche ethischen Verhaltensregeln unterwirft, wird es leichter für jedes einzelne Unternehmen, sich daran zu halten. Die Kunst- und Antiquitätenhändler bemühen sich
geschlossen um eine verantwortliche Unternehmensführung. Auch deshalb, weil immer mehr internationale Richtlinien das vorschreiben. Wer für ein Gemälde oder eine Perlenkette mehr als € 14.900 in
bar auf den Tisch legt, muss sich vor dem Händler ausweisen. Das soll verhindern, dass Schwarzgeld durch den An- und Verkauf von Wertgegenständen weißgewaschen wird. Umgekehrt muss der Händler
bei jedem Ankauf eines Kunstwerks dessen Herkunft peinlich genau prüfen. „Man kann nicht einfach einen Schiele kaufen, der vielleicht unter das Restitutionsgesetz fällt“, erzählt Alexander
Jesina, Obmann des Wiener Fachausschusses der Kunst- und Antiquitätenhändler. Zusätzlicher Bonus: Je genauer der Weg wertvoller Kunstwerke dokumentiert wird, desto unwahrscheinlicher werden
Diebstähle, denn dokumentiertes Diebesgut lässt sich kaum verkaufen.
Und auch die Pharmazeutische Industrie bemüht sich um mehr Transparenz: Im aktuellen Verhaltenscodex verpflichten sich Arzneimittelhersteller dazu, ab 2016 alle Zuwendungen an Ärzte offenzulegen.
„Wir beginnen mit 2015 alle Unterstützungsleistungen systematisch zu dokumentieren“, erzählt Claudia Hajdinyak, Communication Manager bei Pfizer Österreich. Dazu gehören zum Beispiel
Tagungsgebühren und Reise- und Übernachtungskosten im Zusammenhang mit Veranstaltungen. Diese Kosten dürfen Arzneimittelhersteller weiterhin für eingeladene Ärzte übernehmen, so lange sie
öffentlich dazu stehen. Gleichzeitig verzichten die Unternehmen darauf, Werbehilfsmittel an Ärzte zu verteilen. „Seit Anfang dieses Jahres produzieren wir keine Notizblöcke und Kugelschreiber
mehr“, so Hajdinyak. Werbung für ihre Produkte wird es weiterhin geben, allerdings immer schon stark eingeschränkt durch gesetzliche Vorgaben: Objektive Darstellung ist Pflicht, übertreiben
verboten. Arzneimittel sind schließlich keine Konsumartikel.
Seiltanz rund ums Bier
Dabei haben es auch manche Hersteller von Konsumartikeln gar nicht leicht, wenn sie ihre Produkte ethisch einwandfrei bewerben wollen. Einen regelrechten Seiltanz zwischen moralisch bedenklichen
Abgründen hat sich zum Beispiel die Brau Union auferlegt und dafür das Pro-Ethik-Siegel des Österreichischen Werberats kassiert. „Wir müssen uns immer wieder die Frage stellen, wie kann ich
Frauen, Männer und jüngere Konsumenten ansprechen, ohne Grenzen zu überschreiten“, sagt Andreas Stieber, Marketingleiter der Brau Union Österreich. Als Teil der Heineken-Gruppe hat sich das
Unternehmen einem eigenen, sehr streng definierten Kommunikationscode unterworfen, der über die allgemein für Alkoholwerbung geltenden Bestimmungen hinausgeht: Jede ansatzweise Diskriminierung
von Frauen ist tabu, die Verbindung mit Auto- oder Motorradfahren ebenso, Kinder und Jugendliche kommen ohnehin nicht vor und es darf nie der Eindruck entstehen, dass Biertrinken soziales Ansehen
brächte. Die Bierwerbung der Brau Union verwöhnt Zuseher stattdessen gerne mit großartigen, definitiv unverfänglichen Landschaftsaufnahmen und einem herzhaften „Prost!“.
Links:
www.cleanclothes.at Europäische Kampagne für faire
Arbeitsbedingungen in der Bekleidungsindustrie
www.asiafloorwage.org Ein Zusammenschluss von Gewerkschaften
und Arbeitsrechte-AktivistInnen in Asien, die sich gemeinsam für eine faire Entlohnung der TextilarbeiterInnen einsetzen.
www.brotfueralle.ch Evangelische Entwicklungsorganisation der
Schweiz
www.suedwind.at Verein für soziale Gerechtigkeit
www.respekt.net Crowdfunding für eine bessere Gesellschaft